Travis Wilkerson – das politische Gewissen
des amerikanischen Dokumentarfilms


Bevor sich Travis Wilkerson dem Filmemachen verschrieb, studierte der in Butte, Montana, aufgewachsene Sohn eines Vietnamveteranen Fremdsprachen und Literatur. Inspiriert durch die revolutionäre filmische Arbeit von Santiago Álvarez und ein Zusammentreffen mit ihm auf Kuba entstand Wilkersons erster Film »Accelerated Under-Development: In the Idiom of Santiago Alvarez«, in dem sich bereits eine klare politische Haltung und eine essayistische Herangehensweise abzeichnen, die seine späteren Werke prägen sollten. Die Wut als Triebfeder, die ihr Schaffen zu einer absoluten Notwendigkeit macht, verbindet Álvarez und Wilkerson.
Tief verwurzelt in der lateinamerikanischen Third-Cinema-Bewegung verschränken sich in Wilkersons Filmen Inhalt und Form, das Politische und Ästhetische und entfalten eine filmische Wucht, die an einen gesellschaftlichen Wandel glauben lässt. Immer wieder macht er sich auf eine geschichtsbewusste Suche nach Formen des Kinos, die sich von gängigen Narrativen lösen und das Politische und eine radikale Kunstform verknüpfen.
Auch Einflüsse der linken Kunstszene finden sich bei Wilkerson, so der epische Gestus des Brecht‘schen Theaters, die formale Strenge von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet und nicht zuletzt der vermittelnde Drang eines Hartmut Bitomsky, der am California Institute of the Arts Wilkersons Prüfer war.
Wilkersons Filme sind ehrlich, fordernd, misstrauisch gegenüber inhaltlicher Glattheit und im Kern immer sowohl aufrührerisch als auch aufklärerisch. Mit diesem Widerständigen treibt er den Agitprop-Motor an, der der Wirkung bei Álvarez sehr nahekommt.
Diese Wirkungskräfte entfaltet Wilkerson durch den Einsatz eines zeitgemäßen Spektrums von Methoden und Materialien. Seine deutliche Stimme, Archivmaterial, Fotografien, der Einsatz von Typografie und Musik sind nur einige der Komponenten, die seine Filme zu virtuos orchestrierten audiovisuellen Ereignissen machen. Sie stehen für ein dokumentarisches Kino, das schwer zu fassen und herausfordernd, aber nahezu unmöglich zu ignorieren ist.

ERÖFFNUNG RETROSPEKTIVE:

METROPOLIS

DO 12.04.

21:00 Uhr

GAST BEI ALLEN VORSTELLUNGEN: TRAVIS WILKERSON

KURATOREN: THORKIL ASMUSSEN, LILI HARTWIG, BERND SCHOCH